Johannes Rux:

Thesen für eine radikale Umgestaltung der Juristischen Ausbildung

Diese Thesen lagen der Arbeitsgruppe Grüne Rechtspolitik"

der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen(internet-link: "http://www.ba-wue.gruene.de/fraktion/landtag.html")  im Landtag von Baden-Württemberg

am 15. Mai 1997 zur Diskussion vor.

Sie geben alleine die persönliche Meinung des Autors( johannes.rux@uni-tuebingen.de) wieder und werden aufgrund der Ergebnisse der o.g. Diskussion überarbeitet.

1. Problemstellung

In den letzten Jahren wurde nur ein sehr geringer Teil der Assessoren nach dem zweiten Staatsexamen in den Justizdienst bzw. von der öffentlichen Verwaltung übernommen. Auch in Unternehmen und Verbänden sehen sich Juristen einen zunehmendem Konkurrenzdruck durch die Absolventen anderer Studiengänge ausgesetzt. Zwar besteht durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Zahl der Studienanfänger/innen in absehbarer Zeit aufgrund der deutlich schlechteren Berufsaussichten zurückgehen wird. Dies wird sich jedoch allenfalls mittelfristig auswirken, da der Zulauf zum Jura-Studium in den letzten Jahren unverhältnismässig gross war.(1) In Zukunft wird daher ein immer grösserer Anteil der Absolventen einer juristischen A usbildung keine andere Möglichkeit mehr haben, als sich als Rechtsanwalt niederzulassen.

Diese Entwicklung ist nicht notwendigerweise negativ zu bewerten. Zwar wird die grössere Konkurrenz zu einem Absinken der durchschnittlichen Einkommen der Rechtsanwälte führen, wovon insbesondere Berufsanfänger/innen betroffen sein werden.(2) Dies ist aber ein allgemeines Risiko der Marktwirtschaft, das jeder vor Augen haben muss, der sich für eine bestimmte Ausbildung entschliesst. Die Gefahr, dass einzelne Rechtsanwälte aufgrund des grösseren Konkurrenzdruckes ihre Mandanten in aussichtslose Rechtsstreitigkeiten treiben bzw. zu fragwürdigen Geschäftspraktiken oder sogar zu kriminellen Handlungen verleitet werden, ist vergleichsweise gering. Im übrigen besteht diese Gefahr auch heute schon. Für die Mandanten würde sich ein grösseres Angebot an Rechtsanwälten tendenziell eher positiv auswirken, da die Leistungen sich jedenfalls in den Bereichen verbilligen würden, in denen bislang regelmässig von den Gebührensätzen der BRAGO abgewichen wird. Nach alledem steht fest, dass es nicht Ziel einer Ausbildungsreform sein kann, den Marktzugang zu erschweren, um die Interessen der bereits etablierten Anwälte zu sichern.

Im Mittelpunkt einer Ausbildungsreform muss statt dessen das Ziel stehen, die Qualifikation der Absolventen zu verbessern. Dies dient zum einen dem Interesse der künftigen Mandanten und Arbeitgeber, die qualifizierte Leistungen in Anspruch nehmen wollen. Vor allem aber verbessert eine solche Reform die Wettbewerbsposition der Juristen gegenüber den Absolventen anderen Ausbildungen.

2. Die Ausbildung an den juristischen Fakultäten

a: Grundlegende Probleme

Einer der Hauptgründe für die desolate Situation der Lehre an den juristischen Fakultäten ist die Entkoppelung des Ausbildungsangebotes von den Prüfungsinhalten. Im Referendarexamen wird in erster Linie die Fähigkeit der Kandidaten geprüft, in einem sehr beschränkten Zeitraum ein Gutachten über eine oder mehrere Rechtsfragen erstatten zu können. Daneben kommt dem juristischen Fachwissen eine grosse Bedeutung zu. Wissenschaftliche Anforderungen werden jedenfalls seit der Abschaffung der Examenshausarbeit nicht mehr gestellt. Die Einführung des Freiversuches" hat in der Praxis dazu geführt, dass die meisten Studierenden ihre Ausbildung fast ausschliesslich an den Anforderungen der JAPrO ausrichten. Nur ein relativ kleiner Teil der Studierenden nutzt das über das Pflichtpensum hinausgehende Angebot der juristischen Fakultäten. Noch weniger versuchen, sich auch Kenntnisse in benachbarten Wissenschaften zu verschaffen.

Grundsätzlich wäre es den Universitäten möglich, die Ausbildung so auszugestalten, dass die Studierenden auf das Staatsexamen in der gegenwärtigen Form vorbereitet werden. Tatsächlich wurden die Studienpläne diesem Ziel entsprechend umgestaltet. In einigen Universitäten wurde darüber hinaus mit mehr oder weniger grossem Erfolg versucht, den Studierenden durch Klausurenkurse, Examinatorien und Repetitorien den Weg zum privaten Repetitor abzunehmen. Regelmässig werden den Studierenden in den Universitäten aber in erster Linie die dogmatischen Grundlagen vermittelt, nicht aber die Umsetzung dieser Grundlagen im Rahmen der konkreten Fallbearbeitung. Alles andere ist aber mit dem wissenschaftlichen Anspruch der juristischen Fakultäten auch nicht vereinbar. Um eine effektive Examensvorbereitung anbieten zu können, müsste dieser Anspruch aufgegeben werden.

Auf der anderen Seite gelingt es den juristischen Fakultäten nur in begrenztem Masse, den Studierenden auch nur die Grundlagen der Rechtswissenschaft zu vermitteln. Insofern müssen sie sich sicherlich vorwerfen lassen, dass die Didaktik der überwiegenden Zahl der Lehrveranstaltungen höchst unbefriedigend ist. Auf der anderen Seite ist eine Verbesserung der Situation nicht zu erwarten, solange die überwiegende Mehrzahl der Studierenden überhaupt kein Interesse an der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Recht hat.

b: Lösungsmöglichkeiten

Wie in allen anderen Studienfächern auch, muss die didaktische Qualität der Lehrveranstaltungen massgeblich verbessert werden. Diese allgemeine Diskussion soll hier nicht fortgesetzt werden.

Die spezifischen Mängel der juristischen Ausbildung an den Hochschulen lassen sich durch zwei Änderungen beheben:

(1): Umwandlung des Jurastudiums in einen Diplom-Studiengang

Bislang gibt es nur eine Möglichkeit, ein juristisches Studium abzuschliessen, nämlich die erfolgreiche Teilnahme am Referendarexamen. Dies begünstigt zum einen die Entkoppelung von Lehrangebot und Prüfungsanforderungen. Zum anderen ist aber nicht ersichtlich, aus welchem Grund dieses Prüfungsmonopol des Staates beibehalten werden sollte.

Ein solches Monopol ist grundsätzlich nur dann legitim, wenn der Staat sicherstellen muss, dass alle Absolventen einer bestimmten Ausbildung über eine gewisse Mindestqualifikation verfügen. Dies ist insbesondere dann erforderlich, wenn die anschliessende berufliche Tätigkeit dieser Absolventen erhebliche Risiken mit sich bringt. Aufgrund der massiven gesundheitlichen Gefährdungen durch unsachgemässe Heilbehandlungen ist es daher jedenfalls gerechtfertigt, dass Mediziner und Pharmazeuten eine Staatsprüfung ablegen müssen. Nichts anderes gilt im übrigen für zahlreiche andere Heil- und Pflegeberufe. Der Aspekt der Gefährlichkeit spielt auch bei Lehrern eine gewisse Rolle. Die Einführung eines Staatsexamens ist in diesem Bereich jedoch in erster Linie durch das Quasi-Beschäftigungsmonopol des Staates begründet: Die Ergebnisse der Prüfung ermöglichen dem Staat die Auswahl derjenigen Bewerber, die für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst geeignet sind. Da weder die Tätigkeit des Juristen per se gefährlich" ist, noch zumindest die überwiegende Mehrzahl der Juristen im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, fehlt es an der notwendigen Legitimation für eine generelle Staatsprüfung.

In Zukunft sollte das juristische Studium daher mit einer Universittätsprüfung abgeschlossen werden.

(2): Reform des Studiums

Die entscheidende Qualifikation von Juristen bestand schon immer weniger in umfassenden Rechts-Kenntnissen, als in der Fähigkeit zum analytischen Denken. Bei einer Reform der Juristenausbildung darf dieser Anspruch nicht aufgegeben werden, wenn nicht in Kauf genommen werden soll, dass die Juristen auf dem Arbeitsmarkt unter den massiven Druck der Absolventen anderer Fächer geraten, die sich die für ihr jeweiliges Arbeitsgebiet erforderlichen spezifischen Rechtskenntnisse ohne weiteres neben ihrer übrigen Ausbildung aneignen können. Daher muss auch in Zukunft sichergestellt werden, dass jeder Absolvent einer juristischen Ausbildung Grundkenntnisse in den drei klassischen Rechtsgebieten erwerben muss. Nur so kann das Verständnis für das Recht als System entstehen, das Grundlage jeder juristischen Tätigkeit ist. Auf der anderen Seite ist davon auszugehen, dass sowohl die Mehrheit der Rechtskandidaten als auch der potentiellen Arbeitgeber nur ein beschränktes Interesse an einer wissenschaftlichen Ausbildung haben, die zwar für die Ausübung der meisten juristischen Berufe hilfreich sein mag, aber nur selten notwendig ist.

Daraus ergibt sich die Möglichkeit für eine grundlegende Neugestaltung des juristischen Studiums, das in Zukunft in zwei Phasen aufgeteilt werden sollte: Im ersten Studienabschnitt werden in erster Linie die grundlegenden Rechtskenntnisse vermittelt. Die Ausbildung kann dabei sehr verschult ausgestaltet werden, wobei den Studierenden die Möglichkeit gegeben werden sollte, sich die erforderlichen Grundkenntnisse für die beabsichtigte spätere Berufstätigkeit zu verschaffen. Insbesondere sollte es möglich sein, sich die Grundlagen für die anwaltliche Tätigkeit und betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse zu verschaffen. Zumindest theoretisch wäre es möglich, die Ausbildungsstätten auch organisatorisch aus den Universitäten auszugliedern, etwa nach dem Vorbild der Pädagogischen Hochschulen. Der erfolgreiche Abschluss des ersten Studienabschnitts wäre Grundlage für die Aufnahme jeder juristischen Tätigkeit. Er sollte die Diplom-Juristenen" dazu berechtigen, unter Aufsicht und Verantwortung eines qualifizierten Juristen beratend tätig zu werden.

Erst die zweite Phase der juristischen Ausbildung an den Hochschulen wäre an wissenschaftlichen Massstäben auszurichten. Hier sollten nicht nur die Kenntnisse in den juristischen Grundlagenfächern vertieft werden, sondern auch und vor allem die Bezüge zu angrenzenden Wissenschaften (Politologie, Soziologie, Psychologie, Ökonomie etc.) vermittelt werden. Eine Spezialisierung auf eines oder zwei der klassischen" Rechtsgebiete ist aber auch hier möglichst zu vermeiden. Zum zweiten Teil der Ausbildung an den Hochschulen sollen nur diejenigen Kandidaten zugelassen, die sich im ersten Studienabschnitt hinreichend bewährt haben. Am Ende sollte eine weitere Universitätsprüfung stehen. Der erfolgreiche Abschluss dieses zweiten akademischen Ausbildungsabschnittes soll lediglich für die Zulassung zur Promotion und für die Aufnahme einer Lehrtätigkeit zwingend erforderlich sein.

2. Die praktische Ausbildung

a: Probleme

An das erfolgreiche Bestehen der ersten juristischen Staatsprüfung schliesst sich heute regelmässig der Referendardienst an. Der Erwerb der Befähigung zum Richteramt ist nicht nur Voraussetzung für die Zulassung zum Rechtsanwalt, sondern wird faktisch regelmässig auch für die Anstellung in Unternehmen oder bei Verbänden gefordert.

Zwar mag es zutreffen, dass Grundkenntnisse über die richterliche bzw. staatsanwaltschaftliche Praxis für einen Anwalt, Justitiar, Verwaltungsjuristen oder Angehörigen eines anderen juristischen Berufes" von Vorteil sind. Die Erfahrung aus anderen Staaten zweigt aber, dass dies keineswegs notwendig ist. Zum anderen führt die Belastung der Ausbildungsstellen durch die grosse Zahl (unwilliger) Kandidaten dazu, dass diejenigen Referendare, die eine reelle Chance auf Übernahme in den Justizdienst haben, tatsächlich überhaupt nicht auf die Übernahme einer selbständigen Tätigkeit vorbereitet werden können. Vielmehr sind sie im Anschluss an das Assessorexamen zu einer dreijährigen Probezeit verpflichtet. Auch für die übrigen juristischen Tätigkeitsfelder ist davon auszugehen, dass sich an das Assessorexamen eine mehr oder weniger lange weitere Ausbildungsphase anschliesst, in welcher den Assessoren die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten für ihre spezifische Tätigkeit vermittelt werden.

b: Lösungsmöglichkeiten

Als Lösung bietet sich eine Differenzierung der praktischen Ausbildung an. Berücksichtigt man, dass die meisten Juristen in vier Arbeitsfeldern (Justiz/Öffentliche Verwaltung, Wirtschaft/Verbände, Rechtsberatung und -vertretung sowie Wissenschaft) tätig sind, bietet sich folgendes System an:

Der Staat führt zur Bildung einer Einstellungsreserve für die Justiz und die Verwaltung regelmässig Prüfungen durch, zu denen grundsätzlich jeder Absolvent der ersten Phase des juristischen Studiums zugelassen wird. Dabei ist es möglich, nach dem Vorbild der Concours" in Frankreich, nicht nur die eigentlichen Prüfungsleistungen zu berücksichtigen, sondern auch zusätzliche Qualifikationen, etwa den erfolgreichen Abschluss der zweiten Studienphase oder eine gewisse Berufserfahrung. Die Kandidaten mit den besten Ergebnissen werden zum Referendariat zugelassen. Dabei sollte danach differenziert werden, ob eine Verwendung in der Justiz oder in der Verwaltung angestrebt wird, da die Anforderungen für beide Bereiche sehr unterschiedlich sind.

Im Referendariat soll den Anwärtern die Möglichkeit zur selbständigen Amtsausübung gegeben werden, wie sie heute praktisch nur im Rahmen des Sitzungsdienstes bei der Staatsanwaltschaft besteht. Nach Abschluss des Referendariates könnte dann die Probezeit entfallen oder massgeblich verkürzt werden.

Auf eine Bewertung der Kandidaten kann nicht verzichtet werden. Allerdings steht nicht fest, dass dies durch ein weiteres Staatsexamen geschehen muss. Vielmehr ist es denkbar, dass die dienstlichen Bewertungen und/oder die während des Dienstes erbrachten Leistungen als Grundlage dafür herangezogen werden, ob und in welcher Funktion die einzelnen Kandidaten übernommen werden.

Für diejenigen Kandidaten, die den Beruf des Rechtsanwaltes anstreben, sollte an Stelle des Assessorexamens eine Zulassungsprüfung eingeführt werden, die von den Rechtsanwaltskammern unter Aufsicht des Staates durchgeführt wird. So wäre für die Anwaltschaft sichergestellt, dass die neuen Kollegen über die erforderliche Mindestqualifikation verfügen. Grundsätzlich bliebe es den einzelnen Kandidaten überlassen, wie sie sich auf diese Prüfung vorbereiten. Jedenfalls sollten Sie das Recht erhalten, unter Aufsicht eines erfahreneren Kollegen beratend tätig zu werden. Unter Umständen könnten Sie auch das Recht erhalten, vor den Amtsgerichten als Vertreter eines Anwalts aufzutreten.

Wenn man sicherstellen will, dass jeder Anwalt auch einmal die richterliche Perspektive kennengelernt hat, gäbe es die Möglichkeit, ein Kurzreferendariat einzuführen. Allerdings bestehen dann weiter dieselben Kapazitätsprobleme wie schon heute. Ebenso könnte daran gedacht werden, für die Anwaltszulassung eine gewisse Berufspraxis zu verlangen, die nach dem Vorbild des Arztes im Praktikum" erworben werden kann. Wenn die Anwaltschaft diese Ausbildung finanzieren muss, wären aber auch hier Kapazitätsprobleme unvermeidbar.

Diejenigen Kandidaten, die in der Wirtschaft oder in Verbänden tätig werden wollen, werden auch in Zukunft in erster Linie auf die Trainee-Programme ihrer Arbeitgeber angewiesen sein. Eine staatliche Prüfung erscheint wenig sinnvoll. Allerdings sind diese Kandidatinnen durch nichts daran gehindert, durch den Abschluss der zweiten Studienphase, einer Promotion, oder auch der Zulassungsprüfung vor der RAK oder durch den Abschluss des Referendariates ihre Qualifikation nachzuweisen.

Lediglich für eine wissenschaftliche Laufbahn sollte der erfolgreiche Abschluss der zweiten Studienphase erforderlich sein.

Als Folge einer solchen Ausbildungsreform wäre m.E. zu erwarten, dass die überwiegende Mehrzahl der Absolventen eines Jura-Studiums nach dem Diplom zunächst die Anwaltszulassung anstreben wird. Für eine Tätigkeit in der Wirtschaft oder bei Verbänden wird das Bestehen dieser Zulassungsprüfung daher regelmässig vorausgesetzt werden. Wie heute auch, wäre für hinreichend qualifizierte Juristen ein Wechsel zwischen den Berufsfeldern problemlos möglich.

Stand des Manuskriptes: 10. März 1997

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1. Insofern hat sich die Entwicklung nach der Wiedervereinigung als fatal erwiesen, da auf diese Weise das tendenziell bereits vorhandene Überangebot auf dem Arbeitsmarkt verteilt wurde. Zurück zum Text

2. Verstärkt wird diese Entwicklung aller Voraussicht nach dadurch, dass die Leistungen der Rechtsschutzversicherungen in Zukunft deutlich zurückgehen werden. Zurück zum Text


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